MoinMoin!
Dieser interessante Artikel wurde mir gerade zugeschickt. Meine Kollegin Sabine Leopold von agrarheute hat ein Gespräch mit Nicolas Barthelmé, Gründungsmitglied der Verbraucherinitiative. Der Text liest sich gut und vielleicht bringt Euch der ja auf neue Gedanken. Viel Spaß!
Vom „Chef“ kreiert
Die Initiative „Du bist hier der Chef“ hat Verbraucher dazu aufgerufen, die Eigenschaften ihrer bevorzugten Milch zu bestimmen. Jetzt liegen die Ergebnisse von über 9.000 Teilnehmern vor und wir haben mit Initiator Nicolas Barthelmé darüber gesprochen.
Die Idee zur Verbrauchermilch kommt aus Frankreich. Hier macht die französische Initiative Werbung in Paris.

Herr Barthelmé, auf welche Kriterien legen Sie selbst wert, wenn Sie Milch einkaufen?
Bio und Weidehaltung sind für mich selbst aktuell die relevanten Einkaufskriterien bei Milch. Allerdings wünsche ich mir deutlich mehr Transparenz bei den Produkten, die ich im Regal vorfinde. Ich möchte wissen, wie die Tiere gehalten und gefüttert werden und ob der Milcherzeuger von seiner Arbeit leben kann.
Bald gibt es auch Milch unter der Marke „Du bist hier der Chef“ zu kaufen. Was unterscheidet diese Milch von anderen Handelsmarken?
Es ist die erste Milch, die von Verbrauchern kreiert, gewählt und gestaltet wurde. Dafür konnte auf unserer Webseite ein Online-Fragebogen beantwortet und so über Qualität, Herkunft, Tierwohl, Vergütung für die Landwirte oder Verpackung entschieden werden. Dabei konnte der Nutzer auch sehen, wie sich durch die gewählten Kriterien der Preis für das Produkt veränderte. Zum ersten Mal war es so möglich, einen gewissen Einblick in die Konsequenzen der einzelnen Entscheidungen zu bekommen.
Wie ist diese Idee entstanden?
Die Idee der Mitbestimmung bei Lebensmitteln kommt aus Frankreich. Das erste Produkt – auch eine Milch – entstand Ende 2016 während der Milchkrise. Damals fragte sich eine Gruppe engagierter Verbraucher, wie viel Geld den aufgebrachten Milchbauern fehlte, um von ihrer Arbeit leben zu können: Es waren 8 Cent pro Liter abgelieferter Milch. Das schien machbar. So entstand der Impuls, als Verbraucher Verantwortung zu übernehmen.
Hat das in Frankreich Erfolg gehabt?
Ja. Inzwischen haben französische Verbraucher mehr als 35 Produkte gestaltet und gewählt, die unter der Verbrauchermarke „C’est qui le patron?!“ (Wer ist der Chef?) in den Supermärkten verkauft werden. Mehr als 3.000 Landwirtsfamilien werden damit unterstützt, indem sie eine faire und gerechte Vergütung für ihre Erzeugnisse bekommen.
Lässt sich eine solche Idee vom „Genießervolk“ der Franzosen auf die Deutschen übertragen, die bei den Lebensmittelausgaben doch eher knauserig sind?
Deutsche Verbraucher interessieren sich immer mehr für ihre Lebensmittel: Wo kommen sie her, wie wurden sie produziert, wie nachhaltig sind sie, kann der produzierende Landwirt davon leben? Für diese Informationen brauchen sie eine Transparenz, die in den gegenwärtigen Strukturen nicht immer vorliegt. Wenn die Käufer wissen, wie ein Preis entstanden ist und wo ihr Geld hinfließt, sind viele gar nicht so „knauserig“, wie Sie meinen. Gerade Corona hat uns doch gezeigt, dass die Geiz-ist-geil-Mentalität auch ihren Preis hat und überdacht werden sollte. Der Trend geht zurück zu Qualität und zu Produktion im
eigenen Land, davon bin ich überzeugt. Diese Solidarität erleben wir gerade neu und geben damit unserem Konsumverhalten wieder viel mehr Sinn.
Wie viele Menschen hierzulande haben bei der Befragung mitgemacht?
9.308 Menschen haben mitgestimmt. Im Vergleich zu Frankreich, wo für den ersten Fragebogen etwa 6.800 Meinungen eingeholt werden konnten, ist das ein Rekord. Ich finde, auch das zeigt die Relevanz unseres Vorhabens in Deutschland und stimmt uns für die Markteinführung sehr optimistisch. Für mich zeichnet sich hier ab, dass die Deutschen vielleicht doch nicht nur auf der Suche nach dem günstigsten Preis sind, um noch mal auf Ihre Frage von eben zurückzukommen.
Das sind erfreulich viele, das Interesse scheint also da zu sein. Hatten Sie Anfragen und Rückmeldungen über den Fragebogen hinaus?
Ja, wir haben sehr viele Rückmeldungen bekommen, auch eine Einladung nach Berlin ins Bundesumweltministerium war dabei. Aber vor allem kamen viele E-Mails von Verbrauchern, die von unserer Idee begeistert sind.
Was war den Teilnehmern am wichtigsten?
Tierwohl (unter anderem 94 Prozent für Weidehaltung, 86 Prozent für überwiegende Frischgrasfütterung), die Förderung von Artenvielfalt und Biodiversität (86 Prozent für ökologische Landwirtschaft) und die faire
Vergütung für die Landwirte (90 Prozent). (Für mehr Ergebnisse siehe Umfrage unten.)
Und was wird die Milch am Ende kosten? Und vor allem: Wie viel davon landet sicher beim Erzeuger?
Die unverbindliche Preisempfehlung liegt bei 1,45 Euro pro Liter. Davon erhält der Landwirt garantiert 0,58 Euro: Dieser Betrag entspricht einer fairen Vergütung von 0,52 Euro pro Liter Biomilch sowie 0,06 Euro pro Liter für die Einhaltung weiterer gewählter Qualitätskriterien wie Weidehaltung, Frischgras, regional hergestellte Futtermittel, ausgezeichnetes Tierwohl.
Die Milch mit den bevorzugten Eigenschaften soll nun bald in den Handel kommen. Mit wem arbeiten Sie dafür zusammen?
Wir haben eine Gruppe von Landwirten gewinnen können, die bereits damit angefangen hat, die geforderten Kriterien umzusetzen. Und eine erste Molkerei ist auch als Partner dabei (siehe dazu auch Kasten oben). Sie wird die Verbrauchermilch als Frischmilch produzieren und mit uns zusammen auf den Markt bringen. Und mit weiteren Anbietern bereiten wir parallel die Markteinführung einer H-Milch-Variante vor.
Wie ist Ihr Zeitplan? Wann wird man wo die erste „Du bist hier der Chef“-Milch kaufen können?
Die Listungsgespräche laufen. Rewe wird der erste Partner sein, der die Produkte zunächst regional anbietet. Das Interesse ist groß, denn mit uns zusammen kann der Handel ein Zeichen für mehr Wertschätzung von Landwirtschaft und Lebensmitteln, mehr Transparenz und mehr Qualität ohne Dumping setzen.
Und wie geht es dann weiter? Welche Produkte stehen als nächste auf Ihrer Liste?
Mit welchen Erzeugnissen wir weitermachen, entscheiden erneut die Verbraucherinnen und Verbraucher per Produkt-Voting. Aktuell liegen Eier, Kartoffeln und Butter so weit vorne, dass wir mit der Partnersuche und der Entwicklung der Fragebögen angefangen haben.
Wenn Sie sich etwas wünschen dürften: Für welches Erzeugnis hätten Sie gern auch so eine Verbraucherabstimmung?
Ich fände eine Verbraucherabstimmung für Kleidung sehr spannend, damit Transparenz bei diesen langen und komplizierten Lieferketten geschaffen werden kann. Aber erst einmal konzentrieren wir uns auf in Deutschland produzierte Lebensmittel. Damit können wir schon sehr viel erreichen.
So haben die Verbraucher bei der Milch entschieden
An der ersten Umfrage der Verbraucherinitiative „Du bist hier der Chef“ haben sich 9.308 Personen beteiligt. Und das sind die gewählten Kriterien der „Verbrauchermilch“:
94 % Kühe verbringen mindestens vier Monate auf der Weide.
54 % Unterstützung bei Umstellung von konventioneller zu ökologischer Landwirtschaft (1 Cent/l Milch geht in einen Spezialfond).
90 % Landwirt wird fair vergütet* (einschließlich Investitionsmöglichkeiten in seinen Betrieb).
88 % In der Vegetationsperiode überwiegend Grasfütterung, im Winter Heu und Silage.
86 % Biologische Produktion, kein Pflanzenschutz auf Grünland, nur biologischer Pflanzenschutz auf Äckern.
66 % Ausgezeichnetes Tierwohl (fünf Sterne nach Kriterienkatalog, einmal jährlich geprüft).
64 % Nachhaltige und klimaneutrale Verpackung.
56 % Regionale Fütterung (mindestens die Hälfte der Futtermittel aus eigenem Betrieb, Rest aus eigenem oder angrenzenden Bundesländern).
* 44 % dieser Gruppe entschieden sich dazu noch für „zusätzliche Entlohnung für soziale und gesellschaftliche Arbeit“.
Partner auf Erzeuger- und Verarbeiterseite
Milchviehhalter:
Sven Lorenz bewirtschaftet im nordhessischen Vöhl einen 120-ha-Biobetrieb und hält 120 Milchkühe. Im März 2019 lernte er den „Du bist hier der Chef“-Gründer Nicolas Barthelmé kennen und beide kamen ins Gespräch. Lorenz ist einer der ersten Milcherzeuger, die für die Verbrauchermarke liefern werden.„Bis auf wenige Änderungen beim Kraftfutter, das künftig komplett aus der Region kommen muss, entsprach unser Weidemilchbetrieb bereits den Anforderungen der Abstimmung. Das hat es natürlich einfacher gemacht. Außerdem finde ich die Idee einfach gut. Die neue Marke ist eine Chance, den Verbraucher tatsächlich mitzunehmen. Wir produzieren genau nach seinem Wunsch und er kann sich mit unserer Milch identifizieren. Und natürlich ist es auch nicht unerheblich, dass wir einen fairen Auszahlungspreis garantiert bekommen, den der Handel nicht drücken kann.“
Molkerei:
Karin Artzt-Steinbrink leitet als Geschäftsführerin die Geschicke der Upländer Bauernmolkerei GmbH in Willingen. Upländer verarbeitet seit 2009 ausschließlich Biomilch. Ein Teil davon wird künftig unter der Marke „Du bist hier der Chef“ im Handel zu finden sein. „Die Teilnahme an dieser Initiative sehe ich als logische Fortführung unserer bisherigen Unternehmensentwicklung. Wir haben bereits zuvor Aktionen gestartet, mit denen wir die Verbraucher für eine faire Milchentlohnung sensibilisieren wollten. Hier nun ist der Verbraucher zum ersten Mal wirklich direkt einbezogen. Natürlich versprechen wir uns auch einen wirtschaftlichen Erfolg, aber wir hoffen auch, mit der neuen Marke eine Entwicklung anzustoßen, die das Bewusstsein der Menschen hierzulande in eine neue Richtung bewegt.“
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Zusammengefasst: Die Verbraucherinitiative „Du bist hier der Chef“
Darum geht’s:
Auf der Online-Plattform der Initiative sind Verbraucher aufgerufen, verschiedene Eigenschaften eines Lebensmittels mitzubestimmen. Dazu gehören Produktionsfaktoren ebenso wie die Verarbeitung, die Verpackung und der Erzeugerpreis. Mit jeder Wahl können die Teilnehmer die Entwicklung des Ladenpreises beobachten. So bekommen sie ein direktes Gespür für den Wert des Produkts. Die Initiative bringt dann interessierte Partner in Landwirtschaft, Verarbeitung und Vermarktung zusammen. Die so entstehenden Erzeugnisse - zunächst Milch, später weitere Lebensmittel - kommen unter der Marke „Du bist hier der Chef“ in den Handel.
So hat alles angefangen:
Die Idee zu einer verbraucherbestimmten Lebensmittelmarke stammt aus Frankreich. Dort entstand 2016 die Initiative „C’est qui le patron?!“ (Wer ist der Chef?!), die Verbraucher dazu aufrief, ihre bevorzugten Lebensmitteleigenschaften zu wählen. Los ging es auch dort mit der Milch. Gut 6.000 Franzosen beteiligten sich. Die Milch kam in den Handel und verkauft sich gut. Rund 1,5 Mio. l gehen mittlerweile pro Woche über den Ladentisch. Inzwischen gibt es bei unseren Nachbarn über 30 Produkte, deren Eigenschaften von Verbrauchern bestimmt wurden. Und die Idee machte Schule, beispielsweise in Belgien, Spanien, Italien und Marokko. Nicolas Barthelmé, selbst Franzose, hat die Initiative nun nach Deutschland gebracht.
Das ist der Stand:
Das Interesse hierzulande war groß. Über 9.300 Verbraucher haben online abgestimmt. Die Initiative arbeitet nun mit teilnehmenden Landwirten und einer Molkerei an der praktischen Umsetzung. Die Milcherzeuger erhalten dabei für zunächst drei Jahre eine Preisgarantie, die ihnen die Erfüllung der Verbraucheransprüche ermöglicht und fair entlohnt.
und so geht’s weiter:
Auf der Website von „Du bist hier der Chef“ läuft die Befragung bereits weiter. Die Besucher der Seite sind im Moment aufgefordert, über die nächsten Produkte zu bestimmen, deren Eigenschaften abgefragt werden sollen. In Führung liegen Eier, Butter, Kartoffeln, Mehl und Honig. An den Fragebögen für Eier und Kartoffeln wird bereits gearbeitet. In wenigen Wochen sollen sie online gehen. Und auch mit der Milch geht es weiter voran. Für die Frischmilch haben die Partner die nötigen Verträge geschlossen. Wenn die Coronakrise keinen Rückschlag verursacht, soll die „Du bist hier der Chef“-Milch noch im dritten Quartal 2020 in den ersten Rewe-Märkten stehen. Und für H-Milch laufen die Gespräche zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Handel.
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Sabine Leopold, Fachredakteurin bei agrarheute, einer der führenden Agrarmedienmarken aus dem Hause dlv Deutscher Landwirtschaftsverlag, steht Ihnen als unabhängige Expertin für weitere Fragen zur Thematik zur Verfügung.
Quelle: dlv Verlag
Uwe
(cattle)